Aufbau eines Investment Case für disruptive Unternehmen (am Beispiel von Tesla)

Den richtigen Einstiegszeitpunkt zu finden ist bei Unternehmen wie Johnson & Johnson relativ einfach: 80% der Zeit schwankt das KGVe zwischen 18 und 22. Man kauft bei 18 bis 20 und erzielt eine Rendite von 7 bis 11 Prozent pro Jahr. Das galt beim Pharma-Riesen vor 40 Jahren, vor 30, vor 20, vor 15.

Doch wie hätte man den richtigen Einstiegszeitpunkt finden sollen, als Steve Jobs das erste iPhone vorstellte? Als Jeff Bezos verkündete weit über Bücher hinaus zu wachsen? Als Elon Musk von 500.000 Vorbestellungen für das Model 3 sprach? Als Netflix die Marke von 5 Millionen Abonnenten erreichte? Als Mark Zuckerberg Instagram & Whatsapp kaufte? Als Google Marktführer wurde oder als man später YouTube kaufte?

Ich wurde in den letzten Monaten häufig auf mögliche Investments in Virgin Galactic angesprochen, in BYD, in Cannabis-Aktien, in EHang Holdings. Einen fairen Wert zu bestimmen ist hier wahnsinnig schwer.

Am Beispiel von Tesla möchte ich heute vorstellen, wie man einen Investment Case aufbauen kann. Zur Diskussion gestellt werden sollen dabei nicht die konkreten Zahlen, sondern die Methode. Nichtsdestotrotz versuche ich hier, meine eigenen Zahlen zu verwenden.

 

Schritt 1: Wie viele Fahrzeuge wird Tesla in 2030 verkaufen?

Vor dem Hintergrund, dass Bürger, Medien & Politiker immer grüner werden, erwarte ich dass der weltweite Pkw-Absatz von 78,6 Mio. (2019) auf 60-65 Mio. (2030) zurückgehen wird. Carsharing und Taxi-Dienstleistungen werden zunehmen, sodass pro Auto mehr Kilometer jährlich zurückgelegt werden als heute.

Der Anteil rein elektrischer Pkw (BEV) wird auf 40-50% (2030) steigen, allerdings nicht aus ökologischen Gründen, sondern aus Gründen von Ökonomie, Physik und Ingenieurwesen (hier hatte ich mehr dazu geschrieben). Damit stimme ich überein mit Bloomberg und JP Morgan. Dass bereits 14 Länder ein konkretes Verbrenner-Verbot angekündigt haben (davon die Mehrheit bereits für 2025-2030) ist meiner Meinung nach nicht der Haupttreiber. (ebenso wenig irgendwelche CO2-Vorgaben der Europäischen Kommission)

Das ergibt im pessimistischen Fall (60 Mio. Pkw; 40% BEV) 24 Millionen BEVs.

Nun könnte man den BEV-Marktanteil von Tesla in 2030 schätzen. In 2019 lag er bei 22,5%. (Tesla lieferte 367.820 Autos aus von 2.209.831 BEV+PHEV wovon 74% BEVs waren)

Doch in der Vergangenheit wurden Teslas Verkäufe weniger von der Nachfrage bestimmt, als sie von der Produktionskapazität gedeckelt wurden.

Fremont hat inzwischen eine Kapazität von 500.000 Fahrzeugen pro Jahr erreicht. Anders als in Fremont wird man in Shanghai und Grünheide auch Batterien fertigen, aber die Gelände-Infrastruktur ist voll auf Elektroautos perfektioniert, während Fremont zuvor von Toyota und GM genutzt wurde. Shanghai und Grünheide werden mittelfristig ebenfalls auf je 500.000 kommen.

Betrachtet man die Kürze der Zeit, in der Tesla die Gelder für die Finanzierung von Shanghai und Grünheide aufgebracht hat, dazu kamen der Ausbau der Ladestationen, das Hochfahren der Model 3 Produktion sowie die Entwicklung von Model Y, Cybertruck, Roadster und Semi Truck, dann halte ich drei weitere Gigafactories bis 2030 für durchaus realistisch.

Gehen wir von nur jeweils 400.000 Autos in 6 Fabriken aus, kommen wir auf 2,4 Mio. Fahrzeuge in 2030. Seien wir pessimistisch und sagen 2,2 Mio. Auf Seiten der Nachfrage sehe ich das noch weit weniger problematisch als auf der Angebots- bzw. Finanzierungsseite.

Im pessimistischen Fall von 24 Mio. BEVs entspricht das 9,2% BEV-Marktanteil (2019 waren es 22,5%).

Zum Vergleich: 2019 hatten Hyundai und General Motors einen ähnlichen Marktanteil bei Verbrennern (je 8-10%).

Mit 2,2 Mio. Fahrzeugen würde Tesla immer noch unter dem 2019er Absatz von Suzuki (3.0m), Daimler (2.8m) und BMW (2.5m) liegen, und leicht vor Geely (2.1m).

2,2 Mio. Tesla-Verkäufe in 2030 entsprechen einem jährlichen Absatzwachstum von 16%, ausgehend von den für 2020 erwarteten 500.000. Das wäre eine dramatische Verlangsamung des 50%-Absatzwachstums von 2018 auf 2019. (von 244.650 auf 367.200 Fahrzeuge)

 

Schritt 2: Was wird ein Tesla 2030 durchschnittlich kosten?

Ich gehe davon aus, dass Tesla nur dann auf 2,2 Mio. Fahrzeuge in 2030 kommt, wenn man zusätzlich in untere Preissegmente vordringt. Ich erwarte bis 2030 zwei neue Modelle unterhalb des Preisniveaus vom Model 3.

Ich gehe von einer schrittweisen Entwicklung auf ein 25% niedrigeres Preisniveau aus, um auf die Absatzzahlen zu kommen, die Elon Musk sich vorstellt. Damit läge man nur noch einen Tick über dem heutigen Durchschnittspreis von BMW. (39.000 Dollar in 2019 weltweit)

25% Senkung über 11 Jahre (ausgehend vom 2019er Durchschnittspreis) ergibt 2,6% pro Jahr. Allerdings werden alle Marken ihre Preise in Höhe der Inflation erhöhen (ich gehe von 1,9% aus). Kombiniert man diese normale Erhöhung mit dem 25% niedrigeren Preisniveau, erhält man eine Preissenkung von 0,7% pro Jahr. (2,6 minus 1,9)

Ausgehend von einem mittleren Tesla-Preis von 57.000 Dollar in 2019 kommen wir auf 52.760 Dollar in 2030.

Das ergibt einen Automotive-Umsatz von 116 Milliarden Dollar.

Im pessimistischen Fall erwarte ich, dass lediglich 6% hinzukommen aus den Bereichen Service, Solardächer und Energiespeicher für den Haushalt. Optimisten gehen hier von 20 bis 40 Prozent aus.

Außerdem lasse ich autonomes Fahren hier völlig unberücksichtigt, obwohl Tesla hier massive Mehreinnahmen in 2030 generieren könnte. Zum einen durch die wesentlich höhere Zahlungsbereitschaft der Kunden, falls sie mit ihren Tesla-Robotaxis Geld verdienen können. Zum anderen, weil Tesla plant, bei jeder Robotaxi-Tour eine Art Provision zu kassieren.

Mit den 6% Zusatzeinnahmen aus Service, Solardächern und Haushalts-Energiespeicher kommen wir auf 123 Mrd. Dollar Umsatz.

[Zum Vergleich: Ron Baron erwartet 1.000 Milliarden, also das Achtfache]

 

Schritt 3: Wie hoch wird Teslas Marge (Netto-Umsatzrendite) in 2030 ausfallen?

Als Grundlage dient hier BMW mit einer Marge von 7,0% aus der Zeit 2016 bis 2018.

Folgende Effekte sprechen für eine höhere Marge von Tesla:

  • Elektroautos sind wesentlich günstiger zu produzieren als Verbrenner.
  • Teslas Softwareanteil am Umsatz wird höher ausfallen. Dazu zähle ich nicht nur den Autopiloten bzw. FSD oder einen Aufpreis für 0,5sek schnellere Beschleunigung durch Over-the-Air-Update, sondern auch die Spiele/Apps auf dem Tablet. Wie Apple beim App Store wird Tesla zusätzliche Einnahmen durch Spiele/Musik/Navigation verdienen, für die keine oder nur geringe Kosten anfallen.
  • Innovation wird die Kosten drücken. Wie Elon Musk SpaceX zum unangefochtenen Kostenführer der Raumfahrt gemacht hat, ist atemberaubend. Tesla hat bspw. die Länge der Kabelbäume von 3.000m (Model S) auf 1.500m (Model 3) und schließlich auf 100m (Model Y) reduziert, d.h. um 96,7 Prozent (!) seit dem Model S.
  • Onlineverkauf ist wesentlich profitabler als der Verkauf über Autohäuser.
  • Automation in der Produktion („die Maschine die die Maschine baut“) ist einer der wichtigsten Punkte. Wie ineffizient die Deutschen hier sind, erkennt man daran, dass Volkswagen 650.000 Mitarbeiter braucht, um dieselbe Anzahl (!) Autos wie Toyota mit 350.000 (!) Mitarbeitern zu produzieren.
  • Vertikale Integration und besonders der Aufbau einer eigenen Batterieproduktion wird enorme positive Effekte haben. Man ist wesentlich unabhängiger von Zulieferern.
  • Marketing findet fast ausschließlich über (kostenlose) Mundpropaganda und über (kostenlose) Musk-Tweets statt. Hinzu kommen (kostenlose) Aktionen mit Milliarden-Publikum wie 2018, als SpaceX einen Tesla auf die Reise zum Mars geschickt hat. (Als Nutzlast beim Test einer neuen Raketen-Generation nimmt man gewöhnlich einen Aluminium- oder Beton-Block, der hier einfach durch Musks alten Tesla Roadster ersetzt wurde)
  • Fokus auf wenige Modelle und wenige Konfigurationsmöglichkeiten senkt ebenfalls die Kosten pro Fahrzeug. (auch hier werden Erinnerungen an Steve Jobs wach)

Diesen positiven Aspekten stelle ich Mehrinvestitionen (vgl. BMW 2016-2018) gegenüber, denn ich erwarte dass Tesla auch 2030 noch wesentlich mehr in Wachstum investieren wird, als BMW es 2016-2018 getan hat.

Im pessimistischen Fall erwarte ich eine Marge von 10,0%. (Jahresüberschuss geteilt durch Umsatz)

Damit kommen wir auf einen Gewinn von 12,3 Mrd. Dollar. Anders als bei den traditionellen Autobauern wird der gesamte Gewinn auch 2030 noch voll reinvestiert – Dividenden gibt es nicht. Ein weiterer Vorteil.

 

Schritt 4: Welches faire KGV erwartet ihr für 2030?

Ich erwarte, dass Tesla 2030 als innovativer Tech-Konzern bewertet wird, der zwar 2030 nicht mehr mit 16% wächst (wie für den Zeitraum 2020-2030 prognostiziert), sondern nur noch mit 10 bis 14 Prozent. Ein KGV von 19 halte ich hier für fair.

Damit kommen wir auf 234 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung. Bei der heutigen Anzahl Aktien entspricht das einem Kursziel von 1.269 Dollar, also erheblich weniger als Jonathan Neuscheler erwartet (2.000 Dollar) und erheblich weniger als bei Ark Invest:

 

Schritt 5: Welche Rendite fordert ihr bis 2030? Wie hoch ist eure Sicherheitsmarge?

Die Ziel-Börsenwert von 234 Mrd. Dollar in 2030 muss um eure Rendite-Forderung abgezinst werden, um die „faire Marktkapitalisierung 2020“ zu erhalten.

In einem so spekulativen, volatilen Fall wie Tesla fordere ich eine Überrendite von 2 bis 4 Prozent gegenüber der Marktrendite (vor Steuern und Gebühren). Sagen wir 11% pro Jahr.

Somit erhalten wir eine „faire Marktkapitalisierung 2020“ von 83 Mrd. Dollar.

Des Weiteren fordere ich eine Sicherheitsmarge von 20%, weil meine 10-Jahres-Prognose für einen Markt, der sich in einer Disruption befindet, extremer Unsicherheit unterliegt.

Das macht 66 Mrd. Dollar. Bei derzeit 184.390.000 Aktien würde ich also bei einem Aktienkurs von 360 Dollar einen Wiedereinstieg starten.

Wie immer würde ich zunächst ein Drittel oder ein Viertel meines Ziel-Portfolioanteils zu Anfang investieren, also z.B.:

  • bei 360$ das erste Drittel investieren
  • bei 324$ das zweite Drittel investieren (10% unter Erstkaufkurs)
  • bei 288$ das letzte Drittel investieren (20% unter Erstkaufkurs)

Das entspricht einem Kurs-Absturz vom Allzeithoch (969$) von 63%, 67%, 70%.
(Von August 2018 bis Juni 2019 gab es einen 54%-Absturz und da war weder Rezessionspanik im Spiel, noch ein vorheriger, völlig irrer Short Queeze wie bis Februar 2020, es ist also nicht völlig unrealistisch dass wir nochmal einen Kurs von 324 oder sogar 288 Dollar sehen, ohne dass sich die langfristige Prognose ändert)

Sinkt der Kurs auf 288$ und der pessimistische Fall meines Investment Case geht auf, dann erhalte ich 14,6% Rendite pro Jahr bis 2030. (ausgehend von 324$ mittlerem Einstiegskurs und 1269$ Kursziel)
Sinkt er nur auf 360$, dann ergibt das 13,4% pro Jahr.

Derzeit steht der Kurs bei 643$.
Bei 360$ stand er zuletzt am 13.12.2019.

 

Ein Wort zum autonomen Fahren, das hier keine Berücksichtigung fand

Elon Musk veröffentlichte 2006 auf der Tesla-Website einen Masterplan mit 4 Zielen:
1. Create a low volume car, which would necessarily be expensive
2. Use that money to develop a medium volume car at a lower price
3. Use that money to create an affordable, high volume car
4. Provide solar power

Dafür wurde er ausgelacht, denn der letzte überlebende US-Autobauer wurde 1925 gegründet. Danach gab es dutzende Gründungen und ebenso viele Pleiten.

2017 waren alle 4 Ziele erfüllt. Im Jahr zuvor, also 2016, gab er 4 neue Ziele aus, Kurzform:
1. Create stunning solar roofs with seamlessly integrated battery storage
2. Expand the electric vehicle product line to address all major segments
3. Develop a self-driving capability that is 10X safer than manual via massive fleet learning
4. Enable your car to make money for you when you aren’t using it

2018 starben 1.320.000 Menschen an Autounfällen, davon 94% durch menschliches Versagen.

Die 1 Million Teslas, die es derzeit gibt, fahren 52 Minuten pro Tag. Dabei wird ständig von 8 Kameras pro Auto aufgezeichnet.

Das ergibt 2.500.000.000 Stunden an Videomaterial zum manuellen Fahren, das Tesla allein dieses Jahr zur Verarbeitung und zum Lernen zur Verfügung gestellt wird. Das sind hunderte Millionen Situationen, in denen ausgewertet werden kann, was der Fahrer richtig oder falsch gemacht hat.

Ich denke es ist nicht unrealistisch, dass autonomes Fahren Unfälle um 90% reduziert (der im Masterplan genannte Faktor 10) und dass manuelles Steuern dann eben verboten wird bzw. nur noch auf Rennstrecken erlaubt wird sowie an speziellen Tagen auf speziellen Routen.

Google-Waymo ist schon 32.000.000 km autonom auf öffentlichen Straßen unterwegs gewesen, davon 95% in Städten. Glaubt jemand ernsthaft, Volkswagen, Toyota, GM oder BMW können diesen Vorsprung aufholen?
Warum hat die Google-Suchmaschine über 80% Marktanteil und Bing & Baidu krebsen bei 1 bis 2 Prozent herum? Weil Googles Such-Algorithmus seit 23 Jahren mit jeder einzelnen Nutzer-Suche schlauer geworden ist. Genauso wird es beim autonomen Fahren laufen.

Falls Google Tesla kauft, dann heiratet die #1 bei Daten zum autonomen Fahren die #1 bei Daten zum manuellen Fahren. Mit einer Robotaxi-Provision könnte der Gewinn pro Fahrzeug verzehnfacht werden im Vergleich zu heute. (ein Automobilkonzern verdient grob 2 Cent pro Kilometer mit Verkauf & Finanzierung sowie 1 Cent pro Kilometer mit dem Service)

Zudem könnten wir dann erheblich mehr Autoverkäufe erleben. Der öffentliche Nahverkehr würde drastisch rückgebaut werden, weil er von den Kosten her keine Chance hat, mit Robotaxis mitzuhalten. (Nehmt den Preis einer Uber-Fahrt und zieht die Provision des Fahrers ab – da bleibt kaum was übrig; und im Falle von Elektroautos kann dies sogar noch viel günstiger angeboten werden als bei Verbrennern)

 

Links zum Weiterlesen

Hier findet ihr die Begründungen für meinen Optimismus:

 

In eigener Sache

Ich befürchte, dass in den Kommentaren vor allem meine Zahlen zum Investment Case hinterfragt werden. Ziel des Beitrags war vielmehr, die fünf Schritte aufzuzeigen, wie man in einem so spekulativen Fall wie Tesla vorgehen könnte, um seinen Einstieg zu planen.

Meine Zahlen sollten für niemanden eine Rolle spielen. Aufgabe eines Finanzblogs ist es nicht, Lesern wie im Schlaraffenland die gebratenen Entenkeulen in den Mund fliegen zu lassen, sondern euch meine Entenkeulen-Zubereitung vorzustellen. Ob ihr es salziger oder weniger salzig mögt oder lieber auf die Tofu-Ente zurückgreift, ist eure Sache.

Sonst noch was? Ach ja: Vor zweieinhalb Wochen stellte ich mein Aktienportfolio auf eine 1-ETF-Strategie um, wie die meisten von euch wissen. Was ich damals nicht gesagt habe, ist dass ich in einem einzigen Fall schwach werden würde: Tesla.

 

41 Gedanken zu „Aufbau eines Investment Case für disruptive Unternehmen (am Beispiel von Tesla)

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