Viele von euch werfen gern einen Blick auf das aktuelle Markt-KGV, um zu sehen, oder der Markt im historischen Vergleich günstig oder teuer ist.
Ich möchte euch heute gern zeigen, dass die Berechnung des Markt-KGV eine sehr subjektive Veranstaltung ist. Man kann das KGV des S&P 500 Index auf 10 verschiedene Arten berechnen, dabei 10 verschiedene Werte erhalten – und alle 10 wären korrekt. Da guckst du! Du musst dich entscheiden, was genau du sehen willst. Besser gesagt: welche Berechnungsmethode für dich am meisten Sinn ergibt.
Zunächst die Formel:
KGV = Kurs / Gewinn pro Aktie
Der Kurs des S&P 500 liegt bei 2.328,95. So weit, so gut. Was ist mit dem Gewinn pro Aktie (EPS)?
Gewinn pro Aktie = Gewinn / Anzahl Aktien
Problem # 1 – Die Anzahl an Aktien
Was ist mit Aktienoptionen, deren Vergabe bereits veröffentlicht wurde, die aber noch nicht ausgeübt wurden? Gehen diese in die Berechnung ein?
Man unterscheidet hier zwischen unverwässert („basic“) und verwässert („diluted“). Üblicherweise werden bei der Ermittlung des Gewinns pro Aktie bzw. des KGV die verwässerten Werte genommen. Das bedeutet, man geht davon aus, dass alle Optionen ausgeübt werden.
Die zweite Frage hier lautet: Was passiert, wenn Unternehmen in dem Zeitraum, für den das KGV ermittelt werden soll, neue Aktien ausgegeben haben oder eigene Aktien zurückgekauft und „vernichtet“ haben? Nun, ich gehe davon aus, dass die Anzahl an Aktien (verwässert) verwendet wird, die zum Stichtag der KGV-Berechnung zuletzt berichtet wurde (im letzten Quartalsbericht).
Problem # 2 – Gewinn ist nicht gleich Gewinn
Es gibt den EBITDA-Gewinn, den EBIT-Gewinn, den EBT-Gewinn sowie den Jahresüberschuss (auch Nettogewinn oder Konzernergebnis genannt). Und auch beim EBITDA gibt es zwei Varianten: vor oder nach „außergewöhnlichen Erträgen und Aufwendungen“ (auch Einmaleffekte genannt). Für die genaue Definition der jeweiligen Gewinn-Angaben nutzt bitte Google. Das würde an dieser Stelle zu weit führen.
Die Verwendung verschiedener Gewinne ist einer der Gründe dafür, warum euch verschiedene Quellen verschiedene KGVs angeben. Doch wenn die Seite seriös ist, dann steht dort, welcher Gewinn genommen wird.
Für Warren Buffett und mich ist klar, welchen Gewinn man nehmen sollte: den, bei dem sämtliche Kosten abgezogen wurden. Im deutschsprachigen Raum also Jahresüberschuss, Nettogewinn oder Konzernergebnis (das ist dasselbe). Im englischsprachigen Raum nennt man es „GAAP-Earnings“ oder kurz „earnings as reported“.
Problem # 3 – Der Zeitraum
3a) Reine Vergangenheitsbetrachtung oder (Teil-)Schätzung?
Einigen ist das vergangenheitsorientierte KGV am liebsten. Das bedeutet, sie verwenden die Gewinne der vergangenen 12 Monate. Im englischen Sprachraum spricht man von „ttm“ (trailing twelve month).
Andere verwenden eine reine Schätzung, also den erwarteten Gewinn der kommenden 12 Monate. Englisch: „forward earnings“ bzw. „forward P/E (ratio)“.
Doch es gibt auch 3 Mischformen, indem man zu 25%, 50% oder 75% in die Zukunft sieht. Hier schrieb ich ein wenig mehr dazu: „Crashkurs KGV-Berechnung“
Letzten Endes ist es Geschmacksache. Im aktuellen Preis steckt immer die Erwartung an die Zukunft, die jedoch umso unsicherer wird, je weiter man in die Zukunft blickt. Ich persönlich verwende gern KGVs, die beim Gewinn 25% bzw. 50% in die Zukunft schauen.
3b) Unternehmen haben unterschiedliche Geschäftsjahre
Nehmen wir das Beispiel: vergangenheitsorientiertes KGV. Wir wollen heute das vergangenheitsorientierte KGV des S&P 500 ermitteln. Eines der Unternehmen im Index ist Apple. Apple berichtet zu den Stichtagen 31.3., 30.6., 30.9. und 31.12.
Zahlen für das erste Quartal liegen uns derzeit noch nicht vor. Wir verwenden also die Gewinne vom ersten bis zum vierten Quartal 2016.
Was ist mit Nike? Nikes Geschäftsjahr geht von Juni bis Mai, d.h. sie berichten zu den Stichtagen 31.8., 30.11., 28./29.2. und 31.5.
Nike hat bereits Zahlen für die Periode von Dezember bis Februar vorgelegt. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als einen anderen Zeitraum zu verwenden für das aktuelle Markt-KGV, nämlich die Nike-Gewinne von März 2016 bis Februar 2017.
Problem # 4 – Welche Unternehmen?
Die Zusammensetzung des S&P 500 ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wird alle 3 Monate überprüft und nahezu jedes Mal verändert.
Wie ihr bereits vermutet, wird für die KGV-Berechnung die jeweils aktuelle Zusammensetzung genommen – egal ob einige Unternehmen gerade neu hinzugekommen sind.
Wie hoch ist das aktuelle, vergangenheitsorientierte KGV des S&P 500?
Wir erinnern uns: Der Kurs steht bei 2.328,95.
Nun müssen wir uns nur noch fragen: verwenden wir die Gewinne nach Abzug aller Kosten oder die um Einmaleffekte bereinigten Gewinne? Selbstverständlich verwenden wir Ersteres!
Wir googeln: „S&P 500 EPS as reported“ und schränken die Suche auf die letzten 4 Monate ein.
Eine Seite zeigt mir ein EPS zum Stichtag 31.12. von 94,54 USD an, jedoch ohne die Angabe, welche Gewinne verwendet wurden.
Eine weitere Seite zeigt mir ein EPS zum Stichtag 02.03. von 95,43 USD an und gibt an, dass es sich um „actual reported earnings in the past year“ handelt – also genau das, was wir haben wollten. Und wie wir vermuten, gehen die jeweils letzten 4 Quartalsberichte aller Unternehmen vor dem 02.03. ein.
Wir rechnen also:
KGV = 2.328,95 / 95,43 = 24,4
Das KGV liegt, so wie wir es berechnet haben wollen, bei 24,4.
Was sagen andere Quellen und woher kommt der Unterschied?
26,14 – http://www.multpl.com/
Problem hier: Der Stichtag ist der 30.09., wie man hier sieht: http://www.multpl.com/s-p-500-earnings/
Die Zahlen sind also veraltet (zum Gewinn, nicht zum Kurs) und nicht zu gebrauchen. Zumindest werden die Gewinne „as reported“ verwendet sowie die „trailing twelve months“.
26,31 – https://www.quandl.com/data/MULTPL/SP500_PE_RATIO_MONTH-S-P-500-PE-Ratio-by-Month
Als Stichtag wird der 01.03. angegeben, „trailing twelve months“ und „reported earnings“. Also sehr ähnlich zu unserer Berechnung. Warum also die große Differenz von 24,4 zu 26,31? Selbst wenn wir den damaligen Tagesschlusskurs von 2.393,46 als Grundlage nehmen, weil wir annehmen, dass das KGV seitdem nicht aktualisiert wurde, und unser EPS von 95,43, so kommen wir auf ein KGV von 25,1. Ich weiß nicht, was die Autoren hier gerechnet haben, um auf 26,31 zu kommen.
24,45 – http://www.wsj.com/mdc/public/page/2_3021-peyield.html
Auch hier: „trailing twelve months“ und „as reported“. Stichtag: 13.04.
Das KGV ist nahezu exakt genauso hoch wie unseres.
22,963 – https://www.zacks.com/stock/chart/SPAL/fundamental/pe-ratio-ttm
Zacks gibt an, dass sie „trailing twelve months“ verwenden und den 14.4. als Stichtag. Leider wird nicht klar, welche Gewinne verwendet werden. Aufgrund der nicht gerade geringen Abweichung zu unseren 24,4 vermute ich: Zack verwendet entweder die „operative earnings“ (also vor Zinsen und Steuern) oder um Einmaleffekte bereinigte Gewinne. Das würde Warren Buffett nicht gut finden.
Fazit
Halten wir fest: Unter folgenden Annahmen solltet ihr diese Seite verwenden für das aktuelle KGV des S&P 500: http://www.wsj.com/mdc/public/page/2_3021-peyield.html
(1) Ihr zieht ein vergangenheitsorientiertes KGV vor.
(2) Ihr zieht es vor, dass die Gewinne nach Abzug aller Kosten verwendet werden.
(3) Ihr wollt nicht selbst rechnen, sondern lieber nur eine Webseite aufrufen.
Mein Favorit war bisher http://www.multpl.com/ – vor allem aufgrund der hervorragenden Historisierung. Leider habe ich heute herausgefunden, dass veraltete Gewinne (30.09.) verwendet werden.
Schöne Grüße an Christian! Unsere kleine Diskussion hat mich zu diesem Beitrag inspiriert.
Eines möchte ich noch klarstellen: Bisher habe ich keinen einzigen meiner Käufe oder Verkäufe vom Markt-KGV abhängig gemacht.
Abschließende Zitate
„Spiele werden von denjenigen Spielern gewonnen, die sich auf das Spielfeld konzentrieren – nicht von denen, deren Augen auf der Anzeigetafel kleben.“ (Warren Buffett)
„Ich denke nicht darüber nach, ob ein Markt nach oben oder nach unten geht. Ich kümmere mich nur darum, ob ich ein Unternehmen zu einem akzeptablen Preis kaufen kann. Ich sehe mich nicht als Teil eines Bullenmarkts, sondern als Teilhaber an wunderbaren Firmen.“ (Warren Buffett)
„Ich weiß nie, was die Märkte machen werden, wenn wir davon sprechen, was in einem Tag oder einer Woche, einem Monat oder einem Jahr passieren wird. Ich hatte nie das Gefühl, das zu wissen und ich hatte auch nie das Gefühl, dass es wichtig wäre. Ich denke aber, dass die Kurse in 10, 20 oder 30 Jahren deutlich höher sein werden als jetzt.“ (Warren Buffett)
„Geben Sie den Versuch auf, die Bewegungsrichtung des Aktienmarktes, der Wirtschaft, der Zinsen oder Wahlergebnisse vorherzusagen, und hören Sie auf, Geld an Menschen zu verschwenden, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Studieren Sie die Fakten und die finanzielle Situation, bewerten Sie die Zukunftsaussichten des Unternehmens und wenn alles zu Ihren Gunsten steht, kaufen Sie. Viele Menschen investieren ungefähr so, als würden Sie den ganzen Abend pokern, ohne ihre Karten anzuschauen.“ (Peter Lynch)
Sehr gut recherchiert. Gewinne sind auch stark von der Buchhaltung abhängig, egal welchen man nun tatsächlich betrachtet. Mich interessiert das KGV auch nicht sonderlich bis gar nicht. Viel interessanter ist der Freecashflow, der ist unbestechlich.
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